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Psyche und Tempo bei Sergej Rachmaninoff

Der russische Violoncellist Michail Jewsejewitsch Bukinik (1872-1947) schreibt anlässlich der Probenarbeit zu Rachmaninoffs Klaviertrio op. 9 mit dem Komponisten am Klavier:
„Die Interpretation schien uns akademischer, als wir sie uns vorstellten ... In der Folgezeit war ich immer überrascht über diese Seite im Rachmaninoffschen Spiel seiner Werke. Den Schmerz und Gram, den er in seiner Musik ausdrückte, verdeckte er gleichsam in seinem Spiel, er wollte nicht seine Seele vor den Menschen entblößen. Er spielte seine Werke ohne Übertreibung, ich würde sogar sagen, er vermied eine Zurschaustellung der Gefühle, und die romantisch-leidenschaftlichen Stellen, an welchen seine Musik so reich ist, betonte er als Interpret nicht. Er präsentierte sie wie ein fremder Betrachter. Nichts dergleichen bemerkte ich bei den großen Komponisten-Interpreten, z. B. bei Anton Rubinstein oder bei Alexander Skrjabin.”
(Zitiert nach: C. Apetjan, Erinnerungen, Moskau 1955 in: Maria Biesold, Rachmaninoff, Quadriga-Verlag 1993.)

Dieser trefflichen Beschreibung des Spiels des großen Klaviermeisters entsprechen die überlieferten Tondokumente. Interpretiert Rachmaninoff eigene Werke, und man kennt die Noten, kommt man um die Feststellung nicht herum, er verfehle den Inhalt seiner eigenen Werke durch übertriebene Darstellung von Fingerfertigkeit. Typisches Beispiel ist die Interpretation des ersten Satzes seines dritten Klavierkonzertes d-Moll op. 30. Man fragt sich, warum ein so musikalischer Mensch wie Rachmaninoff den komplexen Satz und gefühlstiefen Inhalt so sportiv-rasant und einfach obenhin wegspielt. Wovor hat der Mann Angst und rennt davon? Der mit Rachmaninoff befreundete Dirigent Eugene Ormandy erzählte einmal in einem Interview 1961: “He hated his own music and was usually unhappy about it when he performed or conducted it in public
(Zitiert nach: David Brown, Liner Notes to a Deutsche Grammophon recording of the 3rd Rachmaninov Symphony conducted by Mikhail Pletnev)
 
Leider wurde sein Spiel im Laufe des 20. Jahrhunderts zum Vorbild vieler Pianisten, die vermeinten, schnelles und „objektives“ Spiel sei eine Tugend. Dabei war es nur Ausdruck der bekannten psychischen Probleme des Meisters. Interpretiert Rachmaninoff andere Komponisten, tritt die Stärke seiner Persönlichkeit hervor, indem er sie nicht zurücknehmen kann. Man hört dann einen im Sinne von Klang und Phrasierung „rachmanisierten“ Chopin, Liszt, Schumann usw. mit den entsprechenden grotesk schnellen Tempi.

Hier drei Beispiele, mit denen ich besonders junge Pianisten ermutigen möchte, Rachmaninoffs großartige Études-Tableaux primär musikalisch zu interpretieren anstatt sie rasant-sportlich herunterzuspielen (allerdings werden Sie bei internationalen Wettbewerben damit nicht einmal die Vorrunde überstehen...):

 

 

 

 

© Wolfgang Weller 2007-2017